Wird die Stromversorgung durch dezentrale Photovoltaik (PV)-Anlagen stark ausgebaut, drohen Ungleichgewichte, die sich durch Spannungsschwankungen im Stromnetz bemerkbar machen.
Um diese Schwankungen auf das zulässige Mass zu beschränken, stehen Netzbetreibern verschiedene Instrumente zur Verfügung. Ein Forschungsprojekt der Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften in Winterthur hat die Instrumente nun auf ihre Kosten untersucht. Die Wissenschaftler plädieren unter anderem dafür, zur Verminderung der Spannungsschwankungen direkt auf die PV-Anlagen zurückzugreifen: Deren Wechselrichter haben ein erhebliches
Potenzial, um Stabilitätsprobleme zu vermindern.

Der Ausbau der Photovoltaik schreitet voran. In Dettighofen, einer
deutschen Gemeinde an der Grenze zum Kanton Schaffhausen, sind
so viele Dächer mit PV-Modulen ausgerüstet wie kaum wo. Rund 45 Prozent des Stroms, den Bewohnerinnen und Bewohner verbrauchen, werden am Ort mit Solaranlagen erzeugt. Damit ist Dettighofen ein Musterschüler der «Energiewende». Aber nicht nur das: In der Landgemeinde lässt sich auch untersuchen, welche Folgen ein starker Ausbau von dezentralen Stromerzeugungsanlagen auf das ersorgungsnetz hat. Genau das ist in Dettighofen seit 2014 mit zwei Forschungsprojekten der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) geschehen. Die beteiligten Wissenschaftler konnten in den Studien zeigen, dass die
dezentrale Einspeisung von PV-Strom das Netz punktuell stark belastet. So lag die Netzspannung an den Einspeisepunkten zeitweilig fünf bis sieben Prozent über dem Normwert von 230 Volt.

Abweichungen der Netzspannung von der Norm sind nicht ungewöhnlich. Die Netzspannung liegt nicht exakt bei 230 Volt, sondern schwankt um diesen Wert, liegt also mal höher (in Momenten, wo die Stromproduktion grösser ist als der Verbrauch) und mal tiefer (in Momenten, wo der Verbrauch über der Produktion liegt). Allerdings dürfen die Spannungsabweichungen nicht zu gross werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die angeschlossenen EDV-Anlagen und weitere Elektrogeräte sowie ggf. auch das Netz selber Schaden nehmen. Aus dem Grund sind nach den Normen der International Electrotechnical Commission IEC 60038:1983
maximal Abweichungen von 10 Prozent zulässig, die Spannung muss also zwischen 207 und 253 Volt liegen.

Gezielte Massnahmen an ausgewählten Netzpunkten
Die in Dettighofen gemessenen Spannungsschwankungen
lagen also noch innerhalb der zulässigen Werte. «Wir wissen von den Untersuchungen in Dettighofen, dass ein Ausbau der Photovoltaik nicht
unmittelbar problematisch ist, denn unsere Stromnetze sind robust ausgelegt», sagt Markus Niedrist, Leiter Bereich Netz beim Elektrizitätswerk des Kantons Schaffhausen (EKS), zu dessen Versorgungsgebiet Dettighofen gehört. Trotzdem muss man die Problematik nach Auskunft des Netzexperten im Auge behalten: «Wir müssen die Entwicklung in den kommenden Jahren beobachten und an den Netzpunkten, wo kritische Belastungen drohen, gezielte Massnahmen ergreifen.»

lektrizitätswerke haben eine ganze Reihe von Instrumenten zur Hand, um Spannungsabweichungen zu begegnen und so die Stabilität des Stromnetzes zu gewährleisten. Das Wichtigste besteht im Bau starker Stromnetze. Die rund 700 Schweizer Elektrizitätswerke achten traditionellerweise auf leistungsfähige und dank entsprechender
Reserven auch sichere Netze. Der Ausbau bzw. die Verstärkung von
Kupferkabeln haben allerdings ihren Preis. Daneben gibt es eine ganze Reihe weiterer Möglichkeiten, um die wachsende Stromeinspeisung
aus dezentralen Kraftwerken ohne Netzausbau zu meistern. Dazu gehören
verschiedene Arten der Spannungsregelung etwa in der Trafo-Station oder beim Wechselrichter von PV-Anlagen, aber auch Batteriespeicher oder das gezielte Zu- und Abschalten von elektrischen Verbrauchern (Demand Side Management).

Kosten für Spannungshaltung
Ein Forscherteam der ZHAW hat die verschiedenen Instrumente in einer neuen Studie mit dem Namen CEVSol (vgl. Angaben am Schluss des Artikels) auf ihren Einsatz in verschiedenen Netztypen hin untersucht und insbesondere die Kosten pro installierte PV-Leistung über 25 Jahre
verglichen. Dabei zeigte sich, dass Massnahmen zur Einhaltung der Normspannung vor allem in abgelegenen Gebieten hohe Kosten verursachen. Ferner wurde deutlich, dass Batteriespeicher – werden
sie ausschliesslich zur Spannungshaltung eingesetzt – unter den verfügbaren Technologien zu den teuersten gehören, während die Regelung der Blind- und Wirkleistung direkt am Wechselrichter der Solaranlagen zu den günstigsten Massnahmen gehören (vgl. Tabelle 01). Vor diesem Hintergrund plädieren die Wissenschaftler in der von BFE, EKS und dem
Elektrizitätswerk des Kantons Zürich geförderten Untersuchung für einen verstärkten Einsatz der Blindleistungsregelung, die in der Schweiz bisher kaum genutzt wird (vgl. Textbox 1). «Moderne Wechselrichter haben die Fähigkeit, die aktive und reaktive Leistung unter Berücksichtigung der aktuellen Netzspannung zu steuern», sagt Fabian Carigiet, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ZHAW, und ergänzt: «Diese
Tatsache hält neue Möglichkeiten nicht nur für Verteilnetzbetreiber bereit, sondern auch für die Aufsichtsbehörden. Die Verteilnetzbetreiber
sollten die Möglichkeit haben, ihre Netze in der vollen Spannungs-
Bandbreite – bis zu den 110 Prozent der Normspannung – zu betreiben, ohne die bisher geltenden Einschränkungen. Wenn also die Spannung diese Grenze erreicht, muss die Einspeiseleistung der Wechselrichter linear gegen null gefahren werden, so wie es die österreichischen Behörden bereits in ihrem nationalen technischen Regelwerk TOR D4 gemacht
haben.»

Diese Empfehlung bedeutet, dass in gewissen Fällen der Ertrag an Solarstrom mit Rücksicht auf die Belastung des Netzes vermindert wird. Dies ist allerdings nur bei Einsatz der Wirkleistungsregelung am
Wechselrichter der Fall. Wird hingegen nur die Blindleistung reguliert, kann eine Spannungserhöhung bis zu zwei Prozentpunkte abgemildert werden, ohne dass weniger Strom ins Netz eingespeist wird. «PV-Anlagen
können zu Überschreitungen der Spannungslimiten führen, aber sie bieten
mit ihren Wechselrichtern zugleich das Mittel, um dieses Problem zu lösen oder zumindest zu entschärfen; diese tief hängenden Früchte sollten wir ernten», sagt Prof. Dr. Franz Baumgartner, Photovoltaikexperte an der ZHAW. Diese Massnahme ist nicht nur effizient, sondern auch noch billig. Sie hat zudem den Vorteil, dass hier nur die Spannung punktuell im Netz reduziert wird, während zum Beispiel moderne, regelbare Ortsnetztransformatoren alle Anschlüsse, die von einer Trafostation
abgehen, betreffen, unabhängig davon, ob sie aktuell mit Spannungsproblemen kämpfen oder nicht.

Positiven Erfahrungen in Voralberg
Die Wissenschaftler der ZHAW verweisen in ihrer Studie wiederholt auf die Erfahrungen in Österreich. Dort ist die spannungsabhängige
Blindleistungsregelung Q(U) – anders als in der Schweiz – bereits weit
verbreitet. «In Österreich wird jeder zweite Wechselrichter so gesteuert, dass er Blindleistung zur Reduktion von Spannungserhöhungen nutzt», sagt Diplomingenieur Frank Herb, zuständig für Netzplanung und Power Quality bei der Vorarlberger Energienetze GmbH. Der Vorarlberger Netzbetreiber verlangt von PV-Anlagen-Besitzern in seinem Netzgebiet
seit 2015, dass sie in ihren Wechselrichtern die Bildleistungsregelstrategie
Q(U) aktivieren. Die Erfahrungen mit dieser Massnahme seien sehr positiv, sagt Herb. Damit sie als Netzbetreiber die Funktionsfähigkeit der Wechselrichter nicht länger auf Herz und Nieren prüfen müssen, werde zurzeit darauf hingearbeitet, dass die Hersteller der Wechselrichter ein Prüfzertifikat für ihre Geräte von einer Prüfanstalt einholen können.

Nach Auskunft von Herb kommt die Blindleistungsregelung auch im deutschen Allgäu zum Einsatz, wo die Vorarlberger Energienetze GmbH ebenfalls als Stromversorgerin tätig ist. Um der zunehmenden Einspeisung
von PV-Anlagen gerecht zu werden, hat der Vorarlberger Netzbetreiber zudem einen Grossteil seiner Unterwerke mit erweiterten Spannungsreglern (Wirkstromkompoundierungen) ausgerüstet, welche den Sollwert für die Mittelspannung flexibel festlegen – bei geringer Last liegt er tiefer, bei hoher Last höher. «Dank dieser verschiedenen Massnahmen
hat sich die Befürchtung, dass PV-Anlagen unser Netz an die Grenzen bringen, unterdessen erledigt», sagt Frank Herb. Die nächste Herausforderung sieht er bei der wachsenden Zahl von Ladestationen für
Elektroautos, welche hohe Leistungen über eine lange Zeit aufweisen und damit lokale Unterspannungen nach sich ziehen könnten.

Nutzen der modernen Leistungselektronik
Ob sich die Schweizer Netzbetreiber von den positiven Erfahrungen beeindrucken lassen und die Blindleistungsregelung künftig zur Netzstabilisierung einsetzen, wird sich zeigen. Dazu die Einschätzung
von Dr. Michael Moser, Leiter des Forschungsprogramms Netze beim Bundesamt für Energie: «Auf höheren Netzebenen wird die Spannung seit jeher durch eine gezielte Ein- und Ausspeisung von Blindleistung geregelt. Durch den Einsatz moderner Leistungselektronik in PVWechselrichtern
steht diese Funktionalität nun auch zunehmend im Niederspannungsnetz
zur Verfügung. Es ist daher naheliegend, diese Möglichkeit auszunützen,
bevor andere Massnahmen zum Zug kommen.»

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