Die EnergyView-Plattform will Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern einen schnellen Überblick über den gemeindeeigenen Energieverbrauch verschaffen. Dabei rückt die Plattform die Energiekosten in den Vordergrund.

Die Schweiz zählt rund 2200 Gemeinden. Jede von ihnen verfügt über eine kommunale Infrastruktur, die Strom, Erdgas, Erdöl, Treibstoffe und weitere Energieträger benötigt. Entscheidungen von Kommunalpolitikern haben denn auch grosse Bedeutung auf den landesweiten Energieverbrauch. Ein Walliser Forscherteam hat nun unter dem Namen «EnergyView» eine Software entwickelt, die
Kommunalpolitiker bei energiepolitischen Entscheiden unterstützt. Nach einer gut zweijährigen Pilotphase geht das Energie-Cockpit mit diesem Jahr in den Regelbetrieb. Schweizer Gemeinden können es nutzen, um Stellen mit ineffizienter Energienutzung zu lokalisieren und Gegenmassnahmen zu beschliessen.

Die Idee reicht fast zehn Jahre zurück, und sie wurzelt in der kommunalpolitischen Praxis: Damals machte Arnaud Zufferey, Gemeinderat in Siders (VS) und erfahrener Energieberater, die Beobachtung, dass Kommunalpolitiker zwar viele Werkzeuge zum Energiesparen haben, dass ihnen aber oft die Übersicht fehlt, wo sie diese Werkzeuge sinnvoll einsetzen können. Dass sie dann vielleicht die Sanierung des Gemeindehauses in Auftrag geben, während die Erneuerung
der Primarschule aus energetischer Sicht viel dringlicher wäre. Arnaud Zufferey – ausgebildeter Computer- und Umweltwissenschaftler
– war gleichzeitig Wissenschaftler am Forschungsinstitut für Wirtschaftsinformatik an der Westschweizer Fachhochschule (HES-SO) Valais-Wallis. So kam es zur Entwicklung von ‹EnergyView›, einer
IT-Plattform, die Kommunalpolitiker darin unterstützt, energiepolitisch sinnvolle Entscheidungen zu treffen.

Energieverbrauch in Franken und Rappen
EnergyView zeigt auf, wie viel Energie eine Gemeinde für einzelne Gebäude, Einrichtungen und Fahrzeuge der kommunalen Infrastruktur im letzten Jahr verbraucht hat und vergleicht diese Werte mit den beiden vorangegangenen Jahren. Kommunalpolitiker arbeiten oft ehrenatlich
und verfügen aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Tätigkeit nicht unbedingt über ein vertieftes Wissen in Energiefragen. Um dieser Nutzergruppe gerecht zu werden, weist EnergyView den Energieverbrauch der kommunalen Infrastrukturnicht primär in Kilowattstunden aus, die für Nicht-Energiespezialisten mitunter schwierig einzuordnen sind, sondern
in Franken und Rappen. Schliesslich ist Geld die Währung, mit der die Politik in aller Regel arbeitet. «Wenn Gemeinderäte die Ergebnisse unserer
Plattform sehen, sind sie oft überrascht und wundern sich über diesen oder
jenen Verbrauch. Dann rufen sie den oder die Verantwortlichen zu sich – und so kommt eine Diskussion in Gang, an deren Ende im Idealfall eine sinnvolle Investition in eine energetische Massnahme steckt», sagt Jérôme Salamin, Digitalisierungsexperte bei der CimArk SA (Sion). Diese Walliser Innovationsförderagentur hat die EnergyView-Plattform gemeinsam mit Wissenschaftlern des Forschungsinstituts für Wirtschaftsinformatik der HES-SO Valais- Wallis und dem international tätigen Informatikunternehmen Groupe T2i entwickelt. Das Vorhaben wurde vom Bundesamt für Energie als Leuchtturmprojekt unterstützt.

Suche nach geeigneten Massnahmen
Die Plattform ging ab Herbst 2017 nach und nach in mittlerweile 40 Politgemeinden – vornehmlich im Wallis – in einen Testbetrieb.
Unterdessen liegen die ersten Erfahrungen der Pilotphase, die 2019 zu Ende ging, vor. So zum Beispiel von der Gemeinde Saas- Fee, die EnergyView seit August 2018 einsetzt. «Die Plattform ist eine gute Sache», sagt Fabian Kalbermatten, Leiter Dienstleistungen bei der Walliser Gemeinde. «Dank
der Auswertungen kommt man mit den Personen ins Gespräch, die für den Energieverbrauch des Gemeindehauses, des Werkhofs oder des neuen Schulhauses zuständig sind. Man diskutiert mit ihnen die Gründe für die festgestellten Verbrauchsänderungen. Und man macht sich gemeinsam
Gedanken über geeignete Massnahmen.»

Nach Auskunft von Fabian Kalbermatten hat der Drei-Jahres-Vergleich 2016 bis 2018 gezeigt, dass sich die Erneuerung des Gemeindehauses energetisch tatsächlich auszahlt. Jenen Stimmen, die sagen, die Gemeinden seien heute des Themas Energie überdrüssig, widerspricht Kalbermatten: «Saas Fee ist Energiestadt. EnergyView ist eine gute Ergänzung zu den Beratungsleistungen der Energiestadt- Beraterinnen und -Berater.» Jérôme
Salamin zitiert zudem das Ergebnis einer Umfrage vom Frühjahr 2019 unter den 40 Pilotgemeinden: In den Antworten gab über die Hälfte der Gemeinden an, sie hätten Dank der Plattform Anknüpfungspunkte für energetische Optimierungen identifiziert, insbesondere bei Schulgebäuden
und der öffentlichen Beleuchtung. Viele Gemeinden arbeiten an konkreten
Umsetzungsmasssnahmen; einige habe solche Massnahmen bereits beschlossen, oder diese sind schon in der Umsetzung.

HRM-Daten bilden die Grundlage
Um den Energieverbrauch der öffentlichen Liegenschaften und gemeindeeigenen Fahrzeuge zu ermitteln, greift die Plattform
EnergyView auf Buchhaltungsdaten zurück. Die Rechnungslegung der Schweizer Gemeinden erfolgt nach dem Harmonisierten Rechnungslegungsmodell (HRM), und dieses sieht eigene Konten für den Energieverbrauch vor. Im Rahmen des EnergyView-Projekts haben Wissenschaftler der HES-SO Valais-Wallis einen Algorithmus entwickelt, der die Energiedaten aus der HRM-Buchhaltung ausliest und benutzerfreundlich darstellt.

Dafür genügt es, die in einer Excel-Datei hinterlegten Buchhaltungsdaten auf die EnergyView-Plattform hochzuladen. Je detaillierter die Energiedaten in der Buchhaltung aufgeschlüsselt sind, desto detaillierter
stellt EnergyView sie dar. Idealerweise kann man sie nach Verbrauchern (Schule, Werkhof, Schwimmbad, Fahrzeugflotte, usw.) und nach Energieträgern (Strom, Gas, Öl, Benzin, usw.) aufschlüsseln.

Die Erfahrung zeigt, dass Gemeinden das Harmonisierte Rechnungslegungsmodell sehr unterschiedlich nutzen. Die Aufbereitung
der Energiedaten mittels EnergyView stellte sich denn auch als aufwändiger heraus, als das Projektteam vorausgesehen hatte. Unterdessen meistert die Plattform den Datenexport für alle marktüblichen Software-Lösungen. Das Armaturenbrett weist verschiedene Kennzahlen aus: Energiekosten, Energiekosten pro Einwohner, Kosten nach Energieträger und deren Entwicklung über drei Jahre hinweg.

Für alle Gemeinden verfügbar
Bei EnergyView werden Finanzdaten verwendet, um daraus den Energiekonsum abzuleiten. Dieses Vorgehen hat seine Tücken.
Denn wenn beispielsweise die Energiekosten des Hallenbades im Vergleich
zum Vorjahr plötzlich hochschnellen, muss das nicht unbedingt am höheren Verbrauch liegen, sondern kann ggf. auf den gestiegenen
Ölpreis zurückgehen. Die Plattform versucht solche Preiseffekte durch Einbezug von Daten zu den Energiekosten zu berücksichtigen. Dies setzt allerdings voraus, dass das System mit den entsprechenden Daten «gefüttert» wird. Die Plattform hat nicht den Anspruch, den Energieverbrauch exakt auszuweisen, weil das für ihren Zweck nicht erforderlich sei, wie Jérome Salamin sagt: «Ein Gemeinderat braucht im Alltag nicht eine Genauigkeit bis hinter der Kommastelle; er braucht einen Anhaltspunkt, wo er mit seinem politischen Handeln ansetzen kann.»

Nach einer gut zweijährigen Pilotphase ist die Energie-Plattform jetzt parat für den Einsatz in den Gemeinden. Das System kostet für einen Fünf-Jahres-Zeitraum 6 000 bis 10 000 CHF, abhängig von der Einwohnerzahl der Gemeinde. Die Pilotgemeinden mussten sich bis Ende 2019 entscheiden, ob sie die Plattform – jetzt kostenpflichtig – weiter nutzen wollen. EnergieSchweiz, das Informations- und Förderprogramm des Bundes, subventioniert den Einsatz von EnergyView im Jahr 2020 mit bis zu 40 Prozent der Kosten. Die Organisation stellt darüber hinaus Energiespezialisten zur Verfügung, die die Gemeinden beraten.

www.energyview.ch