Prof. Nicolas Noiray leitet an der ETH Zürich das «Labor für Verbrennung und Akustik für Energiesysteme» (engl. Combustion and Acoustics for Power and Propulsion Systems, kurz CAPS Lab). Bevor der geborene Franzose 2014 an die ETH kam, war er am Alstom-Standort Baden (AG) in der Gasturbinen-Forschung tätig.

Automobile mit Verbrennungsmotor stehen unter Druck. Die politischen Entscheide zielen darauf ab, Diesel- und Benzinmotoren zur Eindämmung des Klimawandels durch elektrisch angetriebene Fahrzeuge zu ersetzen. Doch selbst wenn Benziner und Dieselautos der Vergangenheit angehören sollten: Die Energieumwandlung mittels Verbrennung wird auch in der künftigen Energieversorgung ihren Platz haben, vor allem mit Wasserstoff und anderen synthetischen Brenn- und Treibstoffen aus nachhaltiger Produktion. Wie die entsprechenden Verbrennungsprozesse schadstoffarm und effizient ausgestaltet werden können und wo die geeigneten Einsatzgebiete sind, haben Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Industrie bei einer Fachtagung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich diskutiert.

Die Kamera ermöglicht Hochgeschwindigkeitsaufnahmen mit bis zu 20’000 Bildern pro Sekunde von der Flamme, die links in der Versuchseinrichtung in blau-roter Färbung zu erkennen ist.

Die Diskussion zur Elektrifizierung des Verkehrs ist allgegenwärtig. So gegenwärtig, dass sich der eine oder die andere fragen mag, warum an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) überhaupt noch Verbrennungstechnologien erforscht werden. Prof. Nicolas Noiray, der an der ETHZ das «Labor für Verbrennung und Akustik für Energiesysteme» leitet, ist um eine Antwort nicht verlegen: «Die Verbrennung ist bei der laufenden Umstellung der Energieversorgung nicht das Problem, sondern Teil der Lösung», sagt Noiray. Heute würden weltweit noch immer 70 Prozent des Stroms aus fossilen Brennstoffen gewonnen, nachhaltige Lösungen müssten gefunden werden. «Ein Schlüssel dazu ist die Umwandlung erneuerbaren Stroms in lagerfähige synthetische Brennstoffe. Diese können bei Bedarf in Brennstoffzellen oder Gasturbinen eingesetzt werden, um erneuerbaren Strom zu erzeugen und das Stromnetz zu stabilisieren. Die sichere Verbrennung synthetischer Brennstoffe wie Wasserstoff ohne Schadstoffemissionen ist eine Herausforderung. Wir brauchen eine intensive wissenschaftliche Forschung zu Verbrennungstechnologien für diese nachhaltigen Kraftstoffe, die künftig im Bereich der Stromerzeugung eingesetzt werden, aber auch im Langstreckenflugverkehr und der Schifffahrt, die auf absehbare Zeit nicht elektrifiziert werden können.»

Gefragte ETHZ-Expertise rund um Verbrennung
Vor diesem Hintergrund bleibt die Erforschung von Verbrennungsprozessen also eine Notwendigkeit. Die ETHZ verfügt in diesem Forschungsbereich über eine ausgeprägte
Expertise. Prof. Nicolas Noiray wird von einer Gruppe von rund 20 Personen unterstützt, darunter Doktoranden und Postdocs, aber auch Ingenieure und administratives Personal. Es ist denn auch kein Zufall, dass an der ETHZ alle zwei Jahre eine Tagung stattfindet, an der Verbrennungsforscher und -forscherinnen ihre neusten Ergebnisse vorstellen und in einen Dialog mit Fachleuten aus der Industrie treten. Bei der jüngsten Konferenz kamen Mitte September 150 Personen zusammen, um aktuelle Forschungsergebnisse auszutauschen und zu diskutieren.

Nicolas Noiray betreut an der ETH ein Dutzend Nachwuchsforschende, darunter Postdoc-Wissenschaftlerin Khushboo Pandey (hinten) und Doktorandin Audrey Blondé (vorne). Ein Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung von thermoakustischen Instabilitäten in der Brennkammer.

Das einführende Keynote-Referat hielt der renommierte Verbrennungsforscher Konstantinos Boulouchos, der im Januar 2021 als ETH-Professor emeritiert wurde. Boulouchos skizzierte die Herkulesaufgabe, welche die Abkehr von fossilen Energieträgern mit sich bringt. Eine Herausforderung besteht darin, die Dekarbonisierung in den nächsten 30 Jahren zu meistern. Das ist eine sehr kurze Zeit, wenn man bedenkt, dass Strassenfahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe mitunter über eine Lebensdauer von 30, 40 und mehr Jahren verfügen. Es sei unabdingbar, so Boulouchos, dekarbonisierte Antriebe schon in bestehende Fortbewegungsmittel einzubauen. Eine zweite Herausforderung liegt bei den aktuell noch hohen Preisen für synthetische, CO2-frei bzw. CO2-neutrale Treibstoffe: Diese liessen sich zwar mit erneuerbarem Strom herstellen, kosteten aber noch drei- bis fünfmal so viel wie fossile Treibstoffe. Ziel müsse sein, die Herstellung synthetischer Treibstoffe zu vergünstigen – und fossile Treibstoffe über CO2-Bepreisung zu verteuern. Um synthetische Treibstoffe bei den aktuellen Herstellungskosten konkurrenzfähig zu machen, müsste der CO2-Preis pro Tonne emittiertem CO2 von aktuell 50 EUR auf 600 EUR angehoben werden, rechnete Boulouchos vor und wies darauf hin, dass dieser Preis künftig dank günstigerer Verfahren und Skaleneffekten deutlich sinken dürfte.

Forschung vor einer Herkulesaufgabe
Der Energieexperte machte in seinem Einführungsreferat eine Rechnung auf, die er selber als «Provokation» bezeichnete: Die Elektrifizierung aller Strassenfahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge in den 27 Staaten der Europäischen Union (EU27) bräuchte jährlich rund 4 500 TWh Strom – das ist rund 1.36 mal soviel, wie die gesamte EU27 im Jahr 2017 an erneuerbaren und nicht erneuerbarem Strom verbrauchte (3 300 TWh). Boulouchos verwies auf einen weiteren Problempunkt: Die Produktion von europäischem Windstrom lag im ersten Halbjahr 2021 wetterbedingt um 21 Prozent tiefer als im ersten Halbjahr 2020. Die Folge: Die Kohleverstromung stieg markant an (+ 38 Prozent), weil Gaskraftwerke die Einbusse nicht ausgleichen konnten.

Die «Konferenz zu Verbrennungsforschung in der Schweiz» zeigte eine Reihe von Forschungsansätzen, die in Zukunft dazu beitragen könnten, den Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit voranzubringen. Wissenschaftler von ETHZ, FPT Motorenforschung AG, Vir2sense GmbH, Fachhochschule Nordwestschweiz und Paul Scherrer Institut stellten die Ergebnisse ihrer theoretischen, experimentellen und numerischen Untersuchungen vor. Ein Fokus lag auf Gasturbinen, wie sie heute in Gas- bzw. Gaskombikraftwerken zur Erzeugung von Strom und teilweise auch von Wärme eingesetzt werden, die aber auch die Grundlage für den Antrieb von Düsenjets bilden. Weil Gaskraftwerke einen flexiblen Betrieb erlauben, können sie herangezogen werden, um Zeiten mit wenig Solar- und Windstrom zu überbrücken.

Darstellung eines Flammenrückschlags in der Brennkammer einer mit einem Methan-Wasserstoff-Gemisch oder reinem Wasserstoff betriebenen Gasturbine, wie sie Dr. Alex Novoselov in einem BFE-unterstützen Projekt untersucht.

Gasturbinen mit Wasserstoff
Herkömmlicherweise nutzen Gasturbinen Erdgas (Methan). Dank technischer Innovationen werden diese künftig mit einem Gemisch aus Erdgas und Wasserstoff oder mit reinem (und idealerweise nachhaltig hergestelltem) Wasserstoff betrieben werden können. Damit dies gelingt, ist die Forschung gefordert. Denn Wasserstoff ist reaktiver als Methan, und es ist anspruchsvoll, Wasserstoff ohne Stickoxid-Emissionen zu verbrennen. ETH-Forscher Dr. Alex Novoselov untersucht in einem BFE-unterstützen Projekt, wie sich in Gasturbinen, die mit Wasserstoff-Methan-Gemischen oder reinem Wasserstoff betrieben werden, Flashbacks verhindern lassen, also gefährliche Rückschläge der Flamme von der Brennkammer in die Brennstoffzufuhr. Ein anderer Forschungsansatz zielt darauf ab, Verbrennungsprozesse über die Beimischung eines Plasmas (Gemisch aus freien Ladungsträgern wie Ionen und Elektronen) in die gewünschte Richtung zu beeinflussen (zum Beispiel weniger Stickoxidemissionen bei der Verbrennung von Wasserstoff). Zu dem Thema forscht der ETH-Wissenschaftler Dr. Sergey Shcherbanev. Sein Kollege Abel Faure Beaulieu wiederum befasst sich mit thermoakustischen Instabilitäten, die Verbrennungssysteme mittels Vibrationen beschädigen können, wovon emissionsarme Systeme besonders betroffen sind.

ETH-Wissenschaftler Dr. Sergey Shcherbanev erforscht, ob die Verankerung der Flamme durch den Einsatz eines Plasmas gestärkt werden kann. Im Bild: Momentaufnahme der Verbrennungsflamme ohne und mit Plasma.

Zwei Industrievertreter gewährten an der Verbrennungstagung in Zürich Einblick in die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ihrer Unternehmen. Eines dieser Referate bezog sich auf Gasturbinen neuster Bauweise mit zwei Brennkammern. Die gestufte Verbrennung mit zwei Flammen ermöglicht eine höhere Energieausbeute und tiefere Schadstoffemisssionen. Dr. Andrea Ciani, Projektmanager bei der Firma Ansaldo Energia, die 2016 Teile der Alstom- Forschung in Baden übernommen hat, stellte die neuste Generation ihres Brennerdesigns vor. Der «Center Body Burner» (CBB) besteht aus einem Einsatz für die zweite Brennerstufe und kann bei der Verbrennung von Methan-Wasserstoff- Gemischen oder reinem Wasserstoff eingesetzt werden. Bei einer 1:1-Hochdrucktest- Serie im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln konnte vor kurzem nachgewiesen werden, dass mit dem CBB der Stickoxid-Ausstoss bei der Verbrennung von Wasserstoff wesentlich reduziert werden kann.

CAPS-Forscher Abel Faure Beaulieu untersucht thermoakustische Instabilitäten in Verbrennungsprozessen. Im Bild: Modelle der Schallausbreitung in einem Ringbrenner.

Digitale Zwillinge unterstützen Nachhaltigkeit
Einen ganz anderen Forschungsansatz präsentierte Dr. Markus Wenig von der Winterthurer Schiffsmotoren-Entwicklerin WinGD. Gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz entwirft WinGD digitale Zwillinge («digital twins») der Schiffsmotoren. Verbrennungsmodelle fliessen in diese digitalen Repräsentationen der echten Maschinen ein. Mit digitalen Zwillingen lassen sich Motoren testen, bevor teure Investitionen getätigt werden («testing-before-investing»). Eine andere Anwendung betrifft die virtuelle Systemintegration zum Beispiel von Hybridsystemen. «In Zukunft werden uns die digitalen Zwillinge auch dabei unterstützen, die Profitabilität von Ersatzmassnahmen in Richtung Nachhaltigkeit aufzuzeigen», betonte Industrieforscher Wenig.

Für Stephan Renz, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Verbrennungsbasierte Energiesysteme und Co-Organisator der Tagung, hat der Anlass die Bedeutung von synthetischen Brenn- und Treibstoffen für die Energieversorgung deutlich hervorgehoben: «Die Schweizer Verbrennungsforscher aus dem Hochschulbereich und von Entwicklungszentren international agierender Unternehmen beschäftigen sich fast ausschliesslich mit CO2-reduzierten chemischen Energieträgern.»

Die «Konferenz zur Verbrennungsforschung in der Schweiz» bot Raum für informelle Gespräche zwischen Industrie und Forschung.

HINWEISE
Auskünfte zur «Konferenz zur Verbrennungsforschung in der Schweiz» – organisiert von ETHZ, Paul Scherrer Institut und Bundesamt für Energie – erteilt Stephan Renz (info@renzconsulting.ch), externer Leiter des BFE-Forschungsprogramms Verbrennungsbasierte Energiesysteme. Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Verbrennung finden Sie unter
www.bfe.admin.ch/ec-verbrennung