Vor 30 Jahren, am 12. Juni 1988, lehnten Volk und Stände an der Urne die Vorlage für eine koordinierte Verkehrspolitik (KVP) mit 54 Prozent Nein-Stimmen ab. Die KVP scheiterte, weil sie Eingriffe vorsah, welche bei den Strassenverkehrsteilnehmern Ängste hervorriefen, und weil sie alles auf einmal und für möglichst lange Zeit regeln wollte. Die direkte Demokratie lebt indes davon, dass die Interessen in einem klaren Rahmen abgewogen werden und die Politik immer wieder neu ausgerichtet und angepasst werden kann. Ein solches Vorgehen führte nach dem Nein zur KVP zu einer ganzheitlichen, zwischen Schiene und Strasse abgestimmten Verkehrspolitik. Auch verschiedene Elemente der KVP wurden dabei aufgenommen.

In der Bundesverfassung sind heute keine Ziele zur schweizerischen Gesamtverkehrspolitik verankert, während zum Beispiel den Themen Bildung, Forschung und Kultur oder Umwelt und Raumplanung ganze Kapitel gewidmet sind. Die Bundesverfassung hält zum öffentlichen Verkehr nur fest, dass Bund und Kantone für ein ausreichendes Angebot zu sorgen haben. Beim Strassenverkehr darf der Bund Vorschriften erlassen und Bund und Kantone sorgen für eine ausreichende Strasseninfrastruktur in allen Landesgegenden. Es wird daher immer wieder der Ruf nach einer koordinierten Verkehrspolitik laut.

Vor 30 Jahren ist der Versuch gescheitert, die wesentlichen Elemente der Verkehrspolitik in der Verfassung zu verankern. Mit der Vorlage zur Koordinierten Verkehrspolitik (KVP) wollten Bundesrat und Parlament dies mit zwei umfassenden Artikeln umsetzen. Nur eine Minderheit des Volks und fünf Kantone stimmten der Vorlage zu.

Alpeninitiative und LSVA
Bis heute nicht mehrheitsfähig sind Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit zur Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene, welche gemäss KVP zulässig geworden wären. Nur sechs Jahre nach der Abstimmung von 1988 wurde jedoch die Alpeninitiative gutgeheissen, welche die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von Grenze zu Grenze verlangte und damit massgebliche Eingriffe bei der Wahl zwischen Strassen- und Schienentransport verlangte. Die Verlagerungspolitik wurde zum dominierenden Element der Schweizer Verkehrspolitik. Umgesetzt wurde die Initiative nicht mit Fahrverboten oder der Einschränkung der Verkehrsmittelwahl, sondern mit marktwirtschaftlichen Massnahmen wie der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe, dem Bau der NEAT sowie der Subventionierung und der Liberalisierung des Schienengüterverkehrs.

Eine entscheidende Rolle bei der Ablehnung der KVP spielten die Ängste der Strassenverkehrsteilnehmer, mit der Vorlage werde eine massive Subventionierung des öV auf Kosten des Strassenverkehrs eingeleitet. Während die allgemein formulierten Grundsätze der KVP diesbezüglich nicht mehrheitsfähig waren, fanden später genau definierte Beiträge des Strassenverkehrs zu Gunsten des öV bzw. des Schienengüterverkehrs eine Mehrheit. Die bereits in der KVP vorgesehene Nutzerfinanzierung und das transparente Ausweisen der gemeinwirtschaftlichen Leistungen wurden schrittweise in die Verfassung aufgenommen oder in der Gesetzgebung umgesetzt. Nachdem die Festlegung von externen Kosten über Jahre zu intensiven Diskussionen und Rechtsstreiten geführt hatte, ist das Konzept heute weitgehend anerkannt und im Bereich des Strassengüterverkehrs mit der LSVA umgesetzt. Der FinöV-Fonds, der Vorläufer des heutigen Bahninfrastrukturfonds, wurde unter anderem mit Mitteln aus der Mineralölsteuer gespiesen, damit die Baukosten der NEAT finanziert werden konnten. Und für die Finanzierung der Bahninfrastruktur wurde 2014 im Rahmen der Vorlage für Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) auch eine Begrenzung des Fahrkostenabzugs bei der Bundessteuer gutgeheissen, welche primär Auto-Langdistanzpendler betrifft.

Fonds-Finanzierung und Aufgabenteilung
Die Planung der nationalen Verkehrsnetze durch den Bund gemeinsam mit den Kantonen, welche ebenfalls bereits in der KVP vorgesehen war, wurde im Schienenverkehr ebenfalls mit der FABI-Vorlage umgesetzt. Mit dieser Vorlage wurde auch die Fonds-Finanzierung auf die ganze Eisenbahninfrastruktur ausgedehnt und nicht mehr zeitlich befristet (Bahninfrastrukturfonds BIF). Zweckgebundene Mittel für den öV waren bereits in der KVP vorgesehen gewesen. Inzwischen verfügt mit dem Nationalstrassen und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) auch die Strasse über eine vergleichbare, dauerhafte Fonds-Lösung.

Umfangreiche Bestimmungen der KVP betrafen die Aufgabenteilung und den Lastenausgleich zwischen Bund und Kantonen. Der Regionalverkehr ist heute – wie in der KVP angedacht – eine Verbundaufgabe von Bund und Kantonen. Sie bestellen und finanzieren den Regionalverkehr gemeinsam. Im Rahmen der anstehenden RPV-Reform wird geprüft, wie dieses Zusammenspiel optimiert werden kann und ob allenfalls die Kantone die alleinige Verantwortung bei der Bestellung von Busleistungen übernehmen können – weiterhin mit finanzieller Beteiligung des Bundes.

Rückblickend zeigt sich, dass trotz des Scheiterns viele Elemente der KVP über die Jahre wegleitend für die heutige Verkehrspolitik wurden. 30 Jahre danach ist eine zwischen den Verkehrsträgern Schiene und Strasse abgestimmte Verkehrspolitik Realität, auch wenn diese nicht explizit in der Verfassung verankert ist.

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