Das Start-up Solaxess kann Photovoltaik-Module auch in dunklen Farben, z.B. in Terrakotta-Farbtönen, bauen, womit sie sich besser in Gebäude integrieren lassen. Im Bild: Peter Roethlisberger, COO Solaxess, mit zwei Mustermodulen.

Start-ups im Bereich der Energie- und Umwelttechnologien sind von der Coronakrise grundsätzlich ebenso betroffen wie andere Unternehmen. Doch da die Gesellschaft weiterhin dringend auf Cleantech-Lösungen angewiesen ist, können die Jungunternehmen auf mittlere Sicht mit guten Geschäftsbedingungen rechnen. Das ist die Kernaussage einer Umfrage des ‹Swiss Environment & Energy Innovation Monitors, eines vom Bundesamt für Energie unterstützten Monitoring-Programms. Einzelne Cleantech-Start-ups können von der COVID-19-Krise sogar direkt profitieren.

Eine Krise ist immer auch eine Chance, sagt man. Diese Redewendung mag für Unternehmen, die durch die COVID-19-Pandemie in existenzielle Nöte geraten sind, wohlfeil klingen. Und doch hat sie einen wahren Kern, und das kurz- wie mittelfristig: Gewissen Unternehmen bietet die Pandemie auf kurze Frist einen neuen Absatzmarkt für ihre Produkte. Das gilt beispielsweise für das Umwelt-Start-up Aquama (Tolochenaz / VD), das
biologisch abbaubare Desinfektionsmittel herstellt. Oder für die 2009 gegründete Firma greenTEG, deren Wärmesensoren während der COVID-19-Krise zwar im Bausektor weniger gefragt sind, dafür als Fieberthermometer in der Grippe-Prävention herangezogen werden können. Auch mittelfristig warten auf Cleantech-Start-ups neue Chancen. Die Bereitstellung von ressourcenschonenden und effizienten Energie- und Umwelttechnologien ist eine Notwendigkeit, die über die Pandemie hinausweist. «Start-ups im Cleantech-Sektor bieten Lösungen für dringende
Klima- und Umweltprobleme an; sie haben mittelfristig intakte Geschäftsaussichten, wenn sie Wege finden, die konjunkturelle Delle der COVID-19-Krise zu überdauern», sagt Dr. Christina Marchand, Betriebswirtschafterin am «Institut für Innovation und Entrepreneurship» der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die Forscherin verweist in diesem Zusammenhang auf den «Green New Deal» der Europäischen Union, der die Nachhaltigkeit zu einer Toppriorität des Kontinents erklärt hat.

Jährliche befragung von Jungunternehmen
Grundlage für diese Einschätzung ist der «Swiss Environment & Energy Innovation Monitor». Diese Datenbank beruht unter anderem auf einer alljährlichen Online- Befragung von gut 500 Cleantech-Startups, die Christina Marchand gemeinsam mit der Westschweizer Umweltberatungs-
Firma Eqlosion durchführt. Der «Innovation Monitor» wurde 2014 für Energie-Startups ins Leben gerufen, 2018 wurde er auf Umwelt-Start-ups ausgeweitet, und die Daten sind seither für jedermann zugänglich. Das Monitoring-Programm verdankt sich unter anderem dem Umstand, dass seit 2011 – dem Jahr des Atomunfalls von Fukushima – eine stattliche Zahl von Neugründungen zu beobachten ist, die sich am Umbau der Schweizer Energieversorgung beteiligen. Die im «Innovation Monitor» erhobenen Daten zeigen, dass diese Start-ups mit ihren innovativen Geschäftsideen einen langen Atem brauchen: Die meisten Firmen sind mehrere Jahre nach der Gründung noch relativ klein (weniger als zehn Mitarbeiter) und fokussieren ihre Geschäftstätigkeit vorwiegend auf die Schweiz.

Der Aufbau eines neuen Unternehmens bis zum Markterfolg ist in jedem Fall ein Kraftakt. Start-ups im Energiesektor haben zusätzliche Herausforderungen zu meistern: Sie bewegen sich in einem regulatorischen Umfeld, das geprägt ist durch einen erst teilweise liberalisierten Markt mit nach wie vor dominanten Energieversorgern, wie die Ergebnisse des «Innovation Monitors» der letzten Jahre deutlich machen. Dank des Monitoringprogramms weiss man heute, dass Jungunternehmen im Cleantech-Sektor mit einem Kapitalbedarf von über zwei Millionen Franken in der Regel auf ausländische Kapitalgeber angewiesen sind.

Rückenwind für digitale Geschäftsmodelle
Die diesjährige Befragung des «Innovation Monitors» wurde im Mai durchgeführt und fiel auf den Peak der Corona-Krise während des Lockdowns. Die Ergebnisse gewähren einen Einblick, wie die Start-ups von der Pandemie betroffen sind – und welche Gegenstrategien ihnen bei der Krisenbewältigung helfen könnten. 125 Firmen gaben in der Onlineumfrage Auskunft über ihre aktuelle Situation. Mit elf Unternehmen wurden vertiefende Interviews geführt. 72 Prozent der Befragten gaben einen negativen Impact durch die Corona-Krise zu Protokoll. Start-ups in der Westschweiz und im Tessin waren etwas stärker betroffen als in der deutschsprachigen Schweiz, was insofern nicht überrascht, als diese Landesteile von der Pandemie stärker betroffen waren.

14 Prozent der Firmen spürten zum Zeitpunkt der Umfrage keine Auswirkungen der Krise, weitere 14 Prozent nahmen sogar positive Effekte wahr, so wie in den eingangs erwähnten Fällen. «Neben der Adaption von Produkten konnten teilweise die Kosten gesenkt werden, z.B. durch Homeoffice oder Verzicht auf Reisen», benennt Christina Marchand eine Begleiterscheinung der Krise. Der Online-Lebensmittelhändler «Magic Tomato» (Genf) und andere Anbieter von digitalen Technologien profitierten von einer grösseren Nachfrage nach ihren Dienstleistungen.
Andere Start-ups wiederum machten in der Krise frustrierende Erfahrungen. Die Firma Solaxess (Marin-Epagnier / NE) hatte im Frühjahr einen neuartigen Typ vom Photovoltaik-Modul für gebäudeintegrierte Anwendungen marktreif entwickelt, kann diesen aber wegen der verzögerten Lieferung einer Produktionsmaschine erst im Herbst 2020
auf den Markt bringen. Halte die COVID-19-Krise noch längere Zeit an, drohten vielen Start-ups existenzielle Schwierigkeiten, warnen die Verantwortlichen des «Innovation Monitors».

Innovationen stärken Nachhaltigkeit
Die Pandemie hat die Wirtschaftsentwicklung abrupt gebremst. Verkaufszahlen schrumpfen, Projekte werden verzögert, Geldgeber agieren vorsichtiger. Eine Mehrheit der befragten Start-ups (55 Prozent) war in der Krise auf Hilfe angewiesen; gut ein Viertel der unterstützten Unternehmen taxieren die Hilfe als ungenügend. «Kommt hinzu, dass es etlichen Start-ups aufgrund der aktuellen Corona-Krise schwerer fällt, auf den gängigen Wegen Wagniskapital zu beschaffen », sagt Yves Loerincik, Co-Autor
der «Innovation Monitor»-Auswertung. Damit droht ein herber Rückschlag, denn 80 Prozent der Start-ups brauchen in naher Zukunft mehr als 100’000 Franken neues Kapital, 27 Prozent sogar mehr als zwei Millionen Franken. Die Ergebnisse des «Innovation Monitors» sind eine Momentaufnahme. Wie die einzelnen Cleantech-Start-ups am Ende der COVID-19-Krise dastehen werden, lässt sich im Augenblick noch nicht vorhersehen. Die generellen Aussichten in dem Sektor bleiben grundsätzlich intakt, denn wichtige Entwicklungen spielen Jungunternehmen mit zukunftsgerichteten Energie- und Umwelttechnologien in die Hände, wie Annina Faes, Leiterin des BFE-Programms «Wissens- und Technologietransfer » festhält: «Cleantech ist weltweit und auch in der Schweiz ein stark wachsender Markt. Nachhaltige Wertschöpfungsketten, ressourcenschonende Produktion und steigende CO2-Preise sind langfristige Trends, die die Arbeitsbedingungen für Cleantech-Unternehmen begünstigen und bei der Überwindung der
aktuellen Krise helfen können.»

www.innovation-monitor.ch